Wein ohne Alkohol – Zukunftsmarkt mit großem Fragezeichen
Wein ohne Alkohol – Zukunftsmarkt mit großem Fragezeichen
Der Markt für alkoholfreie Weine wächst – keine Frage. Laut einer aktuellen Analyse lag der globale Marktwert im Jahr 2024 bei etwa USD 1,18 Milliarden. Eine andere Studie nennt USD 1,46 Milliarden für 2024 und prognostiziert einen Anstieg auf über USD 12 Milliarden bis 2034. Und: In Europa zählt das Segment inzwischen rund 960 Mio. € im Jahr 2024.
Aber: Wachstum heißt nicht gleich „großes Geschäft mit Premium“, und hier beginnen meine Vorbehalte. In diesem Blogartikel möchte ich zunächst die Faktenlage darlegen, danach auf die besonderen Probleme und Hürden im Premium-Wein-Bereich und schließlich meine persönliche Einschätzung liefern. Zum Schluss gibt’s eine FAQ mit typischen Fragen.
1 | Was spricht für alkoholfreien Wein?
– Gesundheit & Bewusstsein: Immer mehr Menschen wollen weniger oder keinen Alkohol trinken – sei es wegen der Gesundheit, wegen Sport, wegen Fahrtüchtigkeit oder schlicht weil sich Trinkgewohnheiten ändern. In Deutschland z. B. beträgt das Wachstum bei alkoholfreien Weinen im Handel rund 18 % im Jahr 2022.
– Marktchance: Der oben genannte Marktanstieg zeigt Potenzial. Auch Fachmessen nehmen das Thema mit auf: Auf der ProWein etwa steigt das Interesse an „No-Lo“ (no/low alcohol) Weinen.
– Innovation: Hersteller arbeiten an Technik zur Entalkoholisierung, um Geschmack & Aromen weitgehend zu erhalten. In einer deutschen Verkostung von 247 alkoholfreien Weinen zeigten immerhin 18,6 % eine Bewertung von „gut bis sehr gut“.
– Neue Zielgruppen: Fahrer, Schwangere, Gesundheitsbewusste, Menschen mit Alkoholverzicht – diese Zielgruppen waren zuvor im klassischen Qualitätsweinsektor kaum adressiert.
Fazit: Ja, es gibt gute Gründe, weshalb alkoholfreier Wein wächst.
2 | Was spricht gegen einen Premium-alkoholfreien Wein à la Pétrus, Vega Sicilia etc.?
Hier kommen meine Zweifel ins Spiel – insbesondere wenn wir über sehr hochwertige Weine mit hohem Preis sprechen.
a) Was gibt der Alkohol im Wein?
Ein Wein mit 13 % Vol. oder mehr bringt nicht nur Alkohol, sondern auch Textur, Körper, Wärme, das „Knacken“ am Gaumen – all das gehört zu dem Sensorik-Erlebnis, das viele Weinliebhaber mit Premium-Weinen verbinden. Wenn man den Alkohol entfernt, fehlt ein Teil dieses physisch-lichamen Erlebnisses. Man kann sehr viel machen, man kann Arôme erhalten, man kann Rebsorten-typische Eigenschaften herausarbeiten – aber das „Gefühl“ kann anders sein. Meine Erfahrung: Ein abgezogenes Erlebnis bleibt, aber nicht dasselbe.
b) Wer zahlt Premium ohne Alkohol?
Wenn ich ein sehr rares Gewächs kaufe – zum Beispiel Pétrus, Vega Sicilia, Pingus, Remelluri – dann zahle ich nicht nur für das Traubenmaterial, für das Terroir, für Alterung, sondern auch für den Status, für die Geschichte, für das Erlebnis. Würde ich dieselbe Flasche trinken wollen, aber ohne Alkohol, frage ich mich, wie hoch meine Zahlungsbereitschaft wäre. Ich persönlich glaube: sehr viel geringer. Viele würden sagen: „Wenn ich schon so viel zahle, will ich das volle Paket – inkl. Alkohol.“
c) Herstellung und Kosten für Premium ohne Alkohol
Die Entalkoholisierung ist technisch aufwendig – Vakuum, Umkehrosmose, Spinning Cone, oder andere Verfahren. Diese Verfahren kosten Geld – und können zugleich gewisse sensorische Einbußen bringen. Also: Premium-Herstellung ohne Alkohol ist vermutlich nicht günstiger. Gleichzeitig ist der Absatz-Markt kleiner (weniger „stehende“ Zielgruppe bei Luxusweinen ohne Alkohol). Ergo: Schnell bekommt man entweder einen hohen Preis oder eine geringere Marge.
d) Risiko bei Marke und Wahrnehmung
Ein Luxusweingut, das seinen Premium-Wein „ohne Alkohol“ anbietet, kann das Risiko eingehen, die Marke zu de-werten oder zumindest anders wahrgenommen zu werden. Weinliebhaber könnten sagen: „Das ist nicht mehr derselbe Wein.“ Für das Gut bedeutet das Markenimage-Herausforderung.
e) Marktvolumen vs. Nischensegment
Ja, der Markt wächst – aber er ist (noch) klein im Verhältnis zum Gesamtweinmarkt. So wird z. B. in Europa angegeben, dass alkoholfreie Weine 2023 rund 3 % des gesamten Weinmarktes ausmachen. In Deutschland lag der Anteil sogar unter 1 % laut DWI. Wenn wir von Premiumweinen reden, ist das Segment noch viel kleiner. Also: große Ambitionen bedeuten nicht unbedingt große Umsätze.
3 | Kann ich mir einen teuren Wein ohne Alkohol vorstellen?
Kurz: Theoretisch ja – praktisch aber mit vielen Fragezeichen.
Stellen wir uns Folgendes vor: Ein Winzer bietet eine Flasche seines Spitzenjahrgangs für 300 €, aber de-alkoholisiert. Wer kauft das?
– Ein gesundheitsbewusster Konsument? Eher nicht für diesen Preis – dann greift er wahrscheinlich zu günstigerem alkoholfreiem Wein oder Sekt.
– Ein Sammler? Auch fraglich. Ein Sammler sammelt Jahrgänge, Alkoholgehalt, Lagerfähigkeit – und da könnte ein Wein ohne Alkohol als „nicht echt“ gelten.
– Ein Gelegenheitskäufer, der einfach das Erlebnis will? Dann würde er vermutlich lieber echten Wein mit Alkohol nehmen, wenn er kann.
Also: Ich persönlich glaube, dass sehr hochpreisige Weine ohne Alkohol schwer zu positionieren sind. Wenn ein Markt entstehen sollte, dann wahrscheinlich eher im mittleren Premiumbereich (z. B. 20-80 €) oder bei Spezialkategorien (z. B. besonderer Anlass, Design, Funktion). Nicht unbedingt im Hundreds-Euro-Bereich, wie bei den klassischen Prestigeweinen.
Auch vom Sensorischen her: Wenn ich z. B. eine Flasche Pétrus öffne, dann erwarte ich eine Tiefe, eine Textur, eine Entwicklung im Glas. Wenn der Alkohol fehlt, ist das Erlebnis anders – vielleicht sehr gut, aber eben anders. Für ausgewiesene Kenner könnte das einen Unterschied machen.
Kurzgroße persönliche Einschiebung: Ich sehe mich selbst nicht dabei, 500 € für einen Wein ohne Alkohol auszugeben – ich würde lieber den echten haben und eben bewusst nicht so oft oder weniger trinken. Aber vielleicht bin ich da altmodisch.
4 | Wo könnte sich doch eine Chance ergeben?
Nicht alles ist negativ. Es gibt durchaus Szenarien, in denen alkoholfreier Wein Sinn macht – und auch Premium-Sinn machen könnte.
– Anlässe und Events: Stell dir eine elegante Gala vor, bei der alkoholfreie Variante gewünscht ist – da könnte ein hochwertiger de-alkoholisierter Wein als „Flagge zeigen“ dienen.
– Marken-Experimente: Weinunternehmen könnten Editions herausbringen – z. B. limitierte Jahrgänge, bei denen ein Teil der Flasche ohne Alkohol produziert wird, als Innovation.
– Gesundheit/Religion/Regulation: In Märkten mit starken Einschränkungen beim Alkoholkonsum (z. B. bestimmte Regionen, Staaten, Religionen), könnte ein hochwertiger alkoholfreier Wein attraktiv sein.
– Genuss ohne Wirkung: Menschen, die den Geschmack eines guten Weins wollen, aber eben die Wirkung des Alkohols vermeiden (z. B. Autofahrer, Sportler, Medikamente, Prävention) – hier liegt eine Nische.
– Nachhaltigkeit & Image: Der Trend „weniger Alkohol“ kann für Marken auch Teil eines ganzheitlichen Image sein – „Premium & bewusst trinken“.
Das heißt: Die Chance besteht – allerdings mit einem anderen Konzept als „echter 500-€ Wein – nur ohne Alkohol“.
5 | Meine persönliche Einschätzung
Ich glaube: Der Markt für alkoholfreien Wein wird wachsen – vor allem im mittleren Preisbereich und bei massenmarkttauglichen Produkten. Die Technik wird besser werden, die Qualität wird steigen, wir werden beste alkoholfreie Weine sehen, die durchaus Genuss bieten.
Was ich nicht glaube: Dass sehr hochwertige Premiumweine (die große Winzer, Jahrgänge, Terroirs repräsentieren) langfristig ohne Alkohol die gleiche Nachfrage und Preisbereitschaft erreichen wie mit Alkohol. Ich denke, da wird die Weinliebhaber-Klientel anders entscheiden: Entweder echten Wein oder ganz andere Art Genuss.
Warum? Weil – und hier noch mal – der Alkohol im Wein schlicht mit dazugehört: Textur, Wärme, Körper – und bei Premiumweinen eben oft auch Lagerfähigkeit, Entwicklung, Komplexität. Das Erlebnis wandelt sich, wenn man den Alkohol entzieht. Für manche ist das ok – für andere eben nicht.
Kurz gesagt: Wenn ich ein Weingut wäre, würde ich eine alkoholfreie Variante anbieten – aber nicht unbedingt meine Spitzen-Cuvée zum gleichen Preis. Ich würde das Produkt anders positionieren: bewusst, modern, „Genuss ohne Promille“, im Sinne eines klareren Marktsegments. Und ich würde nicht erwarten, dass sofort der Sammler-markt losbricht.
6 | FAQ – Häufige Fragen und Antworten
F: Ist alkoholfreier Wein ganz ohne Alkohol?
A: Nicht immer. Manche Produkte haben noch Restalkohol (< 0,5 % Vol.). Der Begriff „alkoholfrei“ kann länderspezifisch variieren. Daher: Etikett genau lesen.
F: Wie schmeckt Wein ohne Alkohol im Vergleich?
A: Es hängt stark vom Verfahren ab. Gute Marken schaffen erstaunliches – aber vielen fehlt ein bisschen die „Fülle“, die man mit Älterung und Alkohol bekommt. In einer Testreihe wurden bei 247 alkoholfreien Weinen ca. 18,6 % als „gut bis sehr gut“ bewertet.
F: Kann ich einen hochwertigen Wein einfach entalkoholisieren lassen?
A: Theoretisch ja – aber im praktischen Premiumbereich nicht unbedingt sinnvoll oder wirtschaftlich. Alterung, Terroir, Marke – all das ist auf Alkohol-Weinverhältnis ausgelegt. Zudem könnten Markenschutz, Klassifikation (z. B. AOP), Lagerfähigkeit betroffen sein.
F: Welche Preisbereiche sind realistisch bei alkoholfreien Weinen?
A: Im Markt sind viele Produkte im moderaten Preisbereich angesiedelt. Für sehr hochpreisige Weine ohne Alkohol sind kaum Referenzwerte gegeben – und ich würde vorsichtig sein bei der Zahlungsbereitschaft. Wenn man hingegen an Spezial-Editionen denkt, kann auch ein hoher Preis anfallen, aber das ist noch Nische.
F: Wird der Anteil von alkoholfreiem Wein im Gesamtweinmarkt groß?
A: Noch nicht. In Europa z. B. liegt der Anteil bei ca. 3 % des Weinmarktes. In Deutschland unter 1 % laut DWI. Es bleibt also eine Nische mit Wachstumspotenzial, aber nicht (noch) der Mainstream.
F: Gibt es Technik-Probleme oder geschmackliche Abstriche?
A: Ja. Trotz Fortschritten sind manche alkoholfreien Weine noch „anders“ im Geschmack – vielfach berichten Verkoster von charakteristischen Rückständen der Entalkoholisierung. Auch die Alterungsfähigkeit ist häufig eingeschränkt oder anders zu beurteilen.
F: Würde ich persönlich einen Premium-Wein ohne Alkohol kaufen?
A: Mein persönliches Urteil: Nur unter bestimmten Bedingungen – z. B. wenn es sich um ein bewusst modernes Produkt handelt, nicht als Ersatz für klassischen Wein. Für meinen „lieblings Jahrgang“ würde ich eher Original-Wein mit Alkohol wählen. Vielleicht bin ich da konservativ.
7 | Fazit
Alkoholfreier Wein ist keine Modeerscheinung mehr. Er wächst, er wird besser, er findet seinen Platz. Aber: Wenn wir über die großen Namen, die Spitzenweine, die großen Preise sprechen – da sind erhebliche Hürden. Der Genuss, den offiziell hochwertige Weine bieten, ist eng verknüpft mit Alkohol. Und genauso der Sammlerwert, der Lagerwert, der Status. Wer also glaubt, dass ein klassischer Top-Wein einfach „oben ohne“ funktioniert – wird auf Widerstände stoßen.
Das heißt nicht „geht gar nicht“ – aber es heißt: anders denken. Und die Hersteller, Händler und Verbraucher müssen bereit sein, anders zu denken. Für mich gilt: Mittel und gehobener Bereich? Ja, spannend. Ultra-Premium? Vielleicht später – oder mit einem anderen Konzept.
Labels:
Wein, alkoholfrei, Premiumweine, Zukunftsmarkt, Genuss, Technik, Marktentwicklung
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Wein ohne Alkohol: Wachstum und Fakten, aber kann ein teurer Premiumwein ohne Alkohol funktionieren? Analyse, Daten und persönliche Einschätzung.
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